Individuell anpassbare Prothesen und Orthesen durch Vitrimere auf Basis von Benzoxazinen
Die individuelle Herstellung von Pro- und Orthesen ist ein aufwendiger Prozess. Die orthopädischen Hilfsmittel müssen optimal sitzen, um Schmerzen oder Unbehagen bei den Patientinnen und Patienten zu vermeiden. Herkömmliche Faserverbundwerkstoffe lassen nach dem Aushärten des Harzes jedoch kaum Anpassungen zu. Abhilfe könnte ein neuartiges faserverstärktes Polymer schaffen, das vom Fraunhofer IFAM in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern im Projekt »CFKadapt« entwickelt wurde. Dieses Material basiert auf einem dynamischen Polymernetzwerk und ist in vielfältiger Weise an die Druckstellen und physiologischen Veränderungen anpassbar. Somit könnte künftig die Notwendigkeit zur Herstellung einer neuen Prothese, die mehrere Monate dauert, entfallen.
Die Vielseitigkeit der auf Benzoxazin basierenden Vitrimere eröffnet spannende neue Möglichkeiten in der Orthopädietechnik. Der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen Matrixsystemen für orthopädische Hilfsmittel aus Faserverbundwerkstoffen liegt in der Möglichkeit, das neue Material ohne die Schädigung des Materials, beispielsweise durch Schleifen, an die individuellen Druck- oder Stützpunkte der Patienten anzupassen. Die mehrfache Umformmöglichkeit gewährleistet eine kontinuierliche Anpassung an die sich ändernden Bedürfnisse des/der Patienten/-in im Laufe der Behandlung und kann damit die Therapieerfolge erhöhen. Das Verfahren für die Umformung ist vergleichsweise anwendungsfreundlich und benötigt keine besonderen Geräte oder Maschinen. Der Faserverbundwerkstoff, bestehend aus Verstärkungsfaser und der dynamischen Polymermatrix, kann lokal erhitzt und manuell modelliert werden, was eine enorme Gestaltungs- und Konfigurationsfreiheit bietet.
Weitere Vorteile der neuen Materialtechnologie: Nachhaltigkeit und Langlebigkeit im Sinne der Kreislaufwirtschaft
Weitere Vorteile dieses neuen Materials liegen in den besonderen Eigenschaften von Vitrimeren, wie der Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und der Wiederverwertbarkeit, die sie zu einer nachhaltigen Materialoption in der Kreislaufwirtschaft machen. Daraus resultiert eine erhebliche Reduzierung von Abfall während der Produktion sowie eine längere Lebensdauer der Hilfsmittel durch die Möglichkeit, diese fortlaufend anzupassen. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet dies, dass sie schneller eine maßgeschneiderte orthopädische Lösung erhalten können.
Darüber hinaus ist eine standardisierte Produktion von Faserverbundhalbzeugen mit anschließender individueller Fertigung und Anpassung möglich. Das lagerstabile Verbundmaterial kann Fertigungskosten und -zeit reduzieren und die Effizienz des Produktionsprozesses verbessern. Die innovative Technologie verspricht, die individuelle Anpassung von Prothesen und Orthesen zu revolutionieren und den Patientenkomfort sowie die Behandlungsqualität bedeutend zu verbessern.
Zukunftsperspektiven und Anwendungsbereiche
Die besonderen Eigenschaften des neu entwickelten Polymers eröffnen auch Perspektiven über die Orthopädie hinaus. Potenzielle Anwendungen könnten in anderen Bereichen der Medizintechnik, aber auch in der Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt sowie im Sport- und Freizeitbereich liegen. Die Fähigkeit, Materialien dynamisch anzupassen und zu modellieren, könnte in vielen Industrien, die auf leichte, aber robuste Materialien angewiesen sind, von großem Nutzen sein.