Moin, Herr Professor Busse!
Seit 2003 sind Sie am Fraunhofer IFAM und haben das Institut in den letzten 21 Jahren als Institutsleiter insbesondere im Bereich Formgebung und Funktionswerkstoffe maßgeblich geprägt. Aus Ihrer Zeit in der Automobilindustrie haben Sie viele Themen mitgebracht und dann unter anderen auch die Themen rund um die Elektromobilität im Fraunhofer IFAM etabliert. Außerdem haben Sie als Lehrstuhlinhaber „Endformnahe Fertigungstechnik“ am Fachbereich Produktionstechnik der Uni Bremen dieses Thema am Standort und darüber hinaus vorangetrieben. Das war sicher eine sehr spannende Zeit und nun gehen Sie in den wohl verdienten Ruhestand – oder doch eher in den berühmten „UN-Ruhestand“?
Das werden wir gleich klären, denn dieses Interview steht unter dem Motto „Rückblick und Ausblick“. Wir freuen uns, Ihre Antwort auf diese und weitere Fragen im gemeinsamen Interview unter dem Motto „Rückblick und Ausblick“ zu hören.
Starten wir mit einem Rückblick: Wie schauen Sie auf die vergangenen 21 Jahre zurück? Was waren die Highlights? Was die größten Herausforderungen?
In den letzten 21 Jahren haben wir am Fraunhofer IFAM eine sehr hohe Dynamik erlebt: Sowohl in Bezug auf die Größe des Instituts als auch die Themen sind wir erheblich gewachsen. Thematisch ist viel Neues dazu gekommen, aber wir haben auch unsere Kernkompetenzen vertieft und weiterentwickelt. Hier einige Beispiele:
Im Automotive-Bereich konnten wir zwei Leitprojekte in der Fraunhofer-Gesellschaft akquirieren und maßgeblich inhaltlich gestalten und koordinieren. Diese Projekte haben in der Fraunhofer-Gesellschaft einen strategisch sehr hohen Stellenwert und haben dem Institut zu hoher Sichtbarkeit sowohl intern als auch im nationalen und internationalen wirtschaftlichen Umfeld verholfen.
Im Leitprojekt „Systemforschung Elektromobilität“ konnten wir sogar in zwei vierjährigen Projektphasen den Einstieg der deutschen Wirtschaft in die Welt der Elektromobilität technologisch mitgestalten. Das Fraunhofer IFAM konnte im Laufe der Jahre Alleinstellungsmerkmale erarbeiten und sich führende Positionen in der europäischen F&E-Landschaft sichern. Dabei sind viele Patente entstanden. Auch die im Jahr 2023 gestartete Ausgründung „Cast Coil GmbH“ knüpft an diese technologischen Entwicklungen an.
Aktuell koordiniert das Institut das Leitprojekt „FutureCarProduction“, in dem acht Fraunhofer-Institute an den Zukunftsthemen der automobilen Karosserieproduktion gemeinsam arbeiten. Hier steht ein weiterer Paradigmenwechsel an, bei dem die langjährigen Arbeiten des Fraunhofer IFAM im Bereich der Gießereitechnologie einen Lösungsansatz zum „Fusion-Casting“ liefern. Urform- und Umformtechnik werden sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt verknüpft, um neue und nachhaltige Wege des Karosseriebaus aufzuzeigen.
Ein weiteres wichtiges Stichwort ist die Digitalisierung: In praktisch allen technologischen Bereichen des Fraunhofer IFAM halten die digitalen Methoden intensiv Einzug. Große Fortschritte konnten die Technologien im Bereich „Functional Printing“ verzeichnen. Die Funktionalisierung von Komponenten führt nun zu sensorischen / aktorischen, „smarten“ Bauteilen, wovon insbesondere die formgebenden Technologien aus der Pulvertechnologie und der Gießereitechnik profitieren. Das jüngst gegründete Team „Forschungsdaten“ unterstützt nun interne und externe Kunden querschnittlich mit themenspezifischen Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung.
Unser Erfolgsrezept ist und bleibt für mich die Zusammenarbeit mit den kompetenten, leistungsbereiten und intrinsisch motivierten Menschen im Institut. In zahllosen Gesprächen zur Lösung der vielfältigen Herausforderungen sind viele innovative Ansätze entstanden.Diese kontinuierliche Interaktion ist für mich entscheidend für die bisherige und die zukünftige Erfolgstory des Fraunhofer IFAM! Mit dem Wachsen des Instituts entsteht ungewollt, aber auch unaufhaltsam eine größere Distanz zu den Kolleg*innen und oft auch zu den Inhalten. Bei uns werden so viele und interessante Projekte umgesetzt.
Mit diesem Gefühl bin ich nicht allein: „Wenn das Fraunhofer IFAM wüsste, was das Fraunhofer IFAM alles weiß“ charakterisiert eine wichtige Erkenntnis aus unseren bisherigen Strategieprozessen. Die Kommunikation über Bereiche, Abteilungen und Themen hinweg ist eine Herausforderung, die wohl in den nächsten Jahren nicht kleiner wird. Dabei spielt sicherlich auch die Balance zwischen Homeoffice und Anwesenheit aller Menschen im Fraunhofer IFAM eine wichtige Rolle. Der regelmäßige, wertschätzende, offene, kollegiale und idealerweise persönliche Umgang miteinander ist aus meiner Sicht eine Herausforderung und gleichzeitig Schlüssel für den weiteren Erfolg des Fraunhofer IFAM.
Die Themen E-Mobilität und Fertigungstechnik lagen Ihnen immer besonders am Herzen: Was sind die größten aktuellen Veränderungen und wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Was sind in diesen Bereichen die wichtigsten Fragen und wo kann das Fraunhofer IFAM Antworten liefern?
Die Themen rund um die dringend erforderliche Mobilitätswende sind untrennbar mit der Energiewende verknüpft. Gemessen an den gesteckten Klimazielen bis 2045 hinken die Mobilität und der Wohn-/Bausektor am deutlichsten hinterher. Für die individuelle Mobilität mit dem PKW sehe ich die Batterietechnologie auf einem guten Weg. Für den E-LKW sind die Herausforderungen noch höher, aber hierzu tragen wir am Fraunhofer IFAM mit unserem starken Team zu den elektrischen Energiespeichern ganz maßgeblich bei. Einen vielversprechenden Ansatz hierzu stellen zum Beispiel die gedruckten Batterien dar: eine innovative Kombination aus den Printing-Technologien und der Batteriekompetenz.
Für die Schifffahrt sowie im Flugverkehr werden andere Energieträger benötigt. Technologien zum Wasserstoff von der Erzeugung bis zum Einsatz für Mobilität oder dem Bereich Wohnen sowie in der industriellen Anwendung werden immer wichtiger. Auch hierzu ist das Fraunhofer IFAM an mehreren Standorten gut aufgestellt und wird wichtige Technologien in die industrielle Umsetzung bringen.
Das Fraunhofer IFAM hat mit seinen Kernkompetenzen zu Werkstoffen und Fertigungstechnologien beste Voraussetzungen, um der dringend notwendigen Reduktion des CO2-Footprints und der Ressourcenschonung Rechnung zu tragen. Jede neue Komponente und jedes zu fertigende Produkt muss zukünftig neben Funktionalität, Qualität und Kosten insbesondere auch auf Nachhaltigkeit optimiert werden. Hier schließt sich der Kreis zu unserem aktuellen Leitprojekt „FutureCarProduction“, in dem auch alle Belange des Life Cycle Engineering adressiert werden. Diese Erkenntnisse lassen sich systematisch aus der automobilen Fertigung in viele weitere industrielle Anwendungen übertragen.
Sie werden dem Fraunhofer IFAM sicher immer verbunden bleiben, aber wie blicken Sie in die Zukunft – persönlich und auch beruflich? Wie planen Sie ihr „Leben nach dem Fraunhofer IFAM“?
Für die Betreuung von Promotionen und anderen universitären Arbeiten stehe ich weiterhin zur Verfügung. Weiterhin stehen begleitende Tätigkeiten für Ausgründungen sowie Aufsichtsratsmandate auf der Agenda und bei Bedarf kann ich sicher auch in der Fraunhofer-Gesellschaft noch etwas beratende Unterstützung geben.
Für meinen weiteren Lebensweg ist mir sehr wichtig, meine Zeit nun auch für Dinge zu nutzen, für die in den letzten Jahrzehnten zu wenig Zeit war. Dazu zählen unter anderem längere Reisen gemeinsam mit meiner Frau: im Wohnmobil und beim Segeln im Mittelmeer oder auf der Ostsee… Wir haben schon viele schöne Ziele in der Planung. Bei unseren erwachsenen Kindern oder Freunden können wir so im In- oder Ausland Station machen, und zwar mit der neuen Freiheit, nicht zwangsläufig nach zwei Wochen wieder den Heimweg antreten zu müssen.
Wenn wir dann wieder zu Hause sind und kleinere oder größere Projekte in Haus und Garten umsetzen, werde ich endlich auch wieder mehr Zeit an meinem Blüthner-Flügel verbringen, um mein Repertoire zu erweitern und das Ergebnis auch digital aufzunehmen. Außerdem möchte ich unbedingt wieder intensiv Sport machen, von Tennis, Fitnesstraining über Ski und Snowboarden bis Kiten und Wingfoilen!
Und noch eine letzte Frage: Was möchten Sie den Kolleg*innen am Fraunhofer IFAM mit auf den Weg geben? Gibt es eine Life Lesson, die Sie mit allen teilen möchten?
Die Herausforderung bei dieser Frage ist, eine prägnante Antwort zu geben. Ich könnte dazu sicherlich mehrere Seiten füllen und dann ins Philosophische abzudriften. Wenn ich versuche, einen einzigen Punkt herauszunehmen, dann könnte der in etwa lauten:
“Try to balance aspects and interests, but be convinced of whatever you do.”
Nach meiner Erfahrung liegen kluge Entscheidungen in komplexen Situationen selten in den Extrema. Ein wichtiges Ziel in der Führungsarbeit, aber auch im „richtigen Leben“, ist für mich, die beteiligten Menschen möglichst auf eine gemeinsame Linie zu bringen, bei der niemand sein Gesicht verliert, und so idealerweise gemeinsame Erfolge zu feiern. Gegenseitige Wertschätzung, aufmerksames Zuhören – auch zwischen den Zeilen – und der verbindliche und freundliche Umgang miteinander sind dabei für mich ganz wichtige Aspekte.