Werkstoffe für die Medizintechnik am Fraunhofer IFAM Dresden

Mit Pulvermetallurgie zu biologisch degradierbaren Implantaten

Auch in der Medizintechnik sind neue Materialien und Werkstoffe starke Innovationstreiber. Damit können neue Funktionalitäten, neue Strukturen oder auch neuartige medizintechnische Prozessketten ermöglicht werden. Für diese Entwicklungen spielen pulvermetallurgische Methoden aufgrund der vielen Freiheiten in der Formgebung und im Materialdesign eine Schlüsselrolle. Am Fraunhofer IFAM Dresden werden dazu in verschiedenen Disziplinen der Medizin- und Implantattechnik neue Lösungen entwickelt. Das umfasst die maxillofaziale Chirurgie, die Orthopädie und die interventionelle Kardiologie, aber auch die medizinische Gerätetechnik.

Pulvermetallurgische Technologien spielen auch für zahntechnische Ersatzmaterialien eine wichtige Rolle. Insbesondere Kronen- und Brückengerüste erfordern eine anatomische Anpassung im Front- und Seitenzahnbereich. Der Medizinproduktehersteller Amann Girrbach AG entwickelte hierzu in Kooperation mit dem Fraunhofer IFAM Dresden eine CAD/CAM-Fertigung von dentalen Restaurationsmaterialien.[1] Dieses unter dem Namen „Ceramill Sintron®“ zugelassene und vermarktete Verfahren besteht aus der CNC-basierten Trockenbearbeitung von CoCr-Grünlingen und dem anschließenden Sinterprozess unter Schutzgasatmosphäre, die in den Zahnlaboren dezentral auf Desktop-Fräsgeräten und Sinteröfen durchgeführt wird. Die anschließende Verblendung kann unter Verwendung konventioneller CoCr-Gerüstkeramiken erfolgen.

© Fraunhofer IFAM Dresden
Demonstrator eines kardiovaskulären Stents aus Molybdän

In der interventionellen Kardiologie haben Stents zu einem starken Rückgang der Sterblichkeit der koronaren Herzerkrankung geführt. Mit permanenten Stents sind jedoch Komplikationen wie späte In-stent-Thrombosen oder Restenosen (erneute Gefäßverschlüsse) verbunden. Diese Komplikationen sollen durch neuartige Stents aus Werkstoffen, die im Körper abbaubar sind, vermieden werden. Um die hohe Festigkeit und Steifigkeit von Edelstahl-Stents mit bioresorbierbaren Eigenschaften zu kombinieren, wurden am Fraunhofer IFAM Dresden in den letzten Jahren zahlreiche Werkstoffe auf ihre Tauglichkeit geprüft. Dabei wurde Molybdän als besonders vielversprechender Werkstoff identifiziert. Molybdän ist ein Refraktärmetall mit höherer Festigkeit als Edelstahl, zeigte sich aber überraschenderweise auch als bioresorbierbar.[2] Mit seiner Kombination aus günstiger Degradationsrate einerseits und außerordentlich hoher Festigkeit und Steifigkeit verspricht der Werkstoff nun die Entwicklung von Stents mit besonders dünnen Stentstreben, die wiederum günstige Heilungschancen für Gefäßverschlüsse versprechen. Gemeinsam mit dem Institut für die Kardiologie der TU Dresden wurde im Rahmen einer ersten Tierstudie in einem SAB-geförderten Projekt gezeigt, dass Molybdän im Körper abbaubar ist und eine gute Biokompatibilität aufweist.[3]

Die Resorbierbarkeit von Molybdän eröffnet über Stents hinaus weitere Anwendungsmöglichkeiten. Im Jahr 2022 hat ein vom Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit gefördertes Projekt zur Erforschung bioresorbierbarer Elektroden für temporäre Herzschrittmacher begonnen. Das Projekt wird in Kooperation mit Medizinern der Dresdner Universitätsklinik und des Herzzentrums Dresden durchgeführt.

Besondere Anforderungen an die Werkstoffeigenschaften und Fertigungsverfahren werden durch den hohen Individualisierungsbedarf insbesondere in der maxillofazialen Chirurgie gestellt. Hier liefert das Institut zahlreiche ungewöhnliche Lösungen. Die oben genannten günstigen Eigenschaften von Molybdän sind beispielsweise die Basis für die Entwicklung von Schädelimplantaten für die Pädiatrie. Hier wird in dem BMBF-Projekt ResorbM gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Medizin ein resorbierbares Implantat für die Behandlung der frühkindlichen Kraniosynostose entwickelt. Dabei steht neben der Qualifizierung geeigneter Legierungen auch die Entwicklung passender Fertigungstechnologien für solche patientenindividuellen Implantate im Mittelpunkt. Schädelimplantate für den permanenten Einsatz wurden in dem BMBF-Projekt OsteoPAKT entwickelt. Hier wurden insbesondere Ansätze verfolgt, mit denen ein vorkonfektioniertes zellulares Titan-Implantat in der Klinik individualisiert werden kann und dann im Verbund mit aushärtbaren Knochenzementen seine finale Festigkeit erreicht. Auf diese Weise können einerseits kostengünstige Implantate realisiert werden, andererseits ermöglicht diese Prozesskette die Bereitstellung von individualisierten Implantaten innerhalb sehr kurzer Zeit – ein sehr wichtiges Argument bei der zeitkritischen Behandlung von Defekten der Schädelkalotte. Auch in der Kieferchirurgie ist die Behandlung größerer Knochendefekte nicht vollständig gelöst.

© Fraunhofer IFAM Dresden
Wirbelimplantat, Modell

Für die Therapie solcher kritischen Defekte im Kieferknochen wurde am Fraunhofer IFAM in Dresden ein degradierbares Magnesiumimplantat mit einer Faserstruktur entwickelt, das dem Knochen als Leitstruktur für das Wachstum dient. [4] Aufgrund seiner günstigen biomechanischen Eigenschaften wirkt sich das Implantat besonders stimulierend auf das Knochenwachstum aus und verschwindet nach erfolgter Heilung.[5] Die patentgeschützte medizintechnische Prozesskette konnte bereits erfolgreich auf industrieller Skala umgesetzt werden. Nun sucht das Institut nach einem Partner, um sie auf dem Markt verfügbar zu machen.

Auch in der Orthopädie spielt die kostengünstige Individualisierung von Implantaten eine Rolle. Dazu wird am Fraunhofer IFAM Dresden mit dem bereits genannten Selektiven Elektronenstrahlschmelzen (SEBM) eine additive Fertigungsmethode für die Herstellung von Hüftschaftimplantaten qualifiziert. Die Herausforderung dieses Vorhabens ist vor allem die Gewährleistung der ausreichenden Bauteilsicherheit, die durch geschickte Parameterauswahl sowie durch geeignete Nachbehandlungsmethoden beim Drucken der Bauteile erreicht werden soll.

Neue Werkstoffe werden auch für medizintechnische Geräte entwickelt. Hier wird die Additive Fertigung für die Herstellung von Kollimatoren in Röntgengeräten eingesetzt. Solche Kollimatoren bestehen aus Wolframbasierten Werkstoffen, die mit geeigneten Strukturen der Parallelisierung der Röntgenstrahlung dienen. Diese Aufgabe erfordert komplexe Bauteile mit sehr geringen Toleranzen. Am Fraunhofer IFAM Dresden wurde für die Realisierung dieser Bauteile ein auf dem 3D-Siebdruck basiertes Fertigungsverfahren entwickelt, das nun gemeinsam mit Industriepartnern kommerziell umgesetzt wird. Eine entsprechende Pilotanlage wird zurzeit bei der H.C. Starck Hermsdorf GmbH aufgebaut.

[1] B. Stawarczyk, M. Eichberger, J. Schweiger, F. Beuer, F. Noack, R. Hoffmann; Schnell gefräst, sicher verblendet, dental dialogue 13, September 2012, 78-83

[2] C. Redlich, P. Quadbeck, M. Thieme, B. Kieback; Molybdenum – A biodegradable implant material for structural applications? Acta Biomaterialia 104 (2020), 241-251

[3] A. Schauer, C. Redlich, J. Scheibler, G. Poehle, P. Barthel, A. Maennel, V. Adams, T. Weissgaerber, A. Linke, P. Quadbeck: Biocompatibility and Degradation Behavior of Molybdenum in an In Vivo Rat Model, Materials 14 (2021), 7776

[4] I. Morgenthal, O. Andersen, C. Kostmann, G. Stephani, T. Studnitzky, F. Witte, B. Kieback, Highly Porous Magnesium Alloy Structures and Theri Properties Regarding Degradable Implant Application, Advanced Engineering Materials 16, No. 3 (2014), 309-318

[5] K. Bobe, E. Willbold, I. Morgenthal, O. Andersen, T. Studnitzky, J. Nellesen, W. Tillmann, C. Vogt, K. Vano, F. Witte, In vitro and in vivo evaluation of biodegradable, open-porous scaffolds made of sintered magnesium W4 short fibres, Acta Biomaterialia 9 (2013), 8611-8623