Die Zukunft der Oberflächentechnik ist vollautomatisiert, digital und virtuell

Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik erforscht den Einsatz von Industrierobotern und Virtual/Augmented Reality in der Oberflächenbehandlung

Installation eines Hochrotationszerstäubers an das Schnellwechselsystem
© Fraunhofer IFAM
Installation eines Hochrotationszerstäubers an das Schnellwechselsystem
Laserentlackung in Kombination mit CO2-Schneereinigung zur selektiven Entschichtung und Abreinigung von Ablationsprodukten
© Fraunhofer IFAM
Laserentlackung in Kombination mit CO2-Schneereinigung zur selektiven Entschichtung und Abreinigung von Ablationsprodukten
Verschiedene optische Prüfmethoden für die Qualitätssicherung der Oberflächenbehandlung stehen zur Verfügung, hier eine inlinefähige Hyperspektralkamera.
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Verschiedene optische Prüfmethoden für die Qualitätssicherung der Oberflächenbehandlung stehen zur Verfügung, hier eine inlinefähige Hyperspektralkamera.

Das »Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik« am Fraunhofer IFAM zeigt die Zukunft der Oberflächenbehandlung. Das hochmodern ausgestattete Technikum verfügt über digital verknüpfte Industrieroboter – wie u. a. Lackierroboter – für die automatisierte Reinigung, Vorbehandlung und anschließende Lackierung von Bauteiloberflächen in Klein- und Großstrukturen. Dabei wird die gesamte Prozesskette digital abgebildet und um Interaktionsmöglichkeiten mithilfe von Virtual und Augmented Reality ergänzt. FuE-Ziele sind u. a. die Realisierung digital vernetzter Oberflächentechniksysteme und -prozesse als auch die Prozess- und Qualitätsoptimierung durch maschinelles Lernen und den Einsatz von AR-/VR-Methoden.

 

Industrie 4.0 ist kein Schlagwort mehr

Vollautomatisierte und digitale Prozesse sind heutzutage ein Muss in der industriellen Behandlung und Bearbeitung von Bauteiloberflächen – insbesondere mit Blick auf Flexibilität, Prozesseffizienz und Qualitätssicherung. Kosten werden gesenkt, die Qualität verbessert, Durchsatzraten erhöht und Materialeinsparungen realisiert. Nicht zuletzt wird auch die Arbeitssicherheit der Beschäftigten erhöht.

Aktuelle Herausforderung ist die vollständige digitale Vernetzung aller Arbeitsschritte inkl. eingesetzter Technik in Oberflächenbehandlungs- und Beschichtungsprozessen. Außerdem sind die Möglichkeiten der Automatisierung und Digitalisierung noch längst nicht erschöpft, wenn es um die Steuerung und Qualitätssicherung entlang des gesamten Prozesses geht.

 

Wenn Virtual Reality in der Industriepraxis Realität wird

Virtual Reality, Augmented Reality, Internet-of-Things-Anwendungen – digitale Tools und Methoden, die virtuelle Modelle mit realen Bauteilen verknüpfen, finden auch in Oberflächenbehandlungs- und Lackierprozesse zunehmend ihren Einzug. Wenn richtig implementiert bieten sie enormes Potenzial für die Produktenwicklung, Prozesseffizienz und Qualitätssicherung. Herausforderung, die Unternehmen hierbei in Griff bekommen müssen, sind u. a.:

  • Speicherung und Verwaltung relevanter Daten
  • Erstellung von zuverlässigen Modellen und belastbaren Simulationen
  • korrekte Datenbereitstellung und durchgängiger Datenfluss entlang der gesamten Prozesskette
  • automatisierte Einbeziehung relevanter Daten zur Optimierung der Prozessschritte
  • Integration von Schnittstellen für Mensch-Maschinen-Interaktionen

Branchenvertreter erkennen sofort die Vorteile solcher digitalen Tools und Methoden, sie aber in den eigenen Behandlungs- und Lackierprozesse zu integrieren ist äußerst komplex.

 

Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik

Genau um solche aktuellen Fragestellungen zu erforschen, hat das Fraunhofer IFAM das Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik eingerichtet. Das Zentrum bietet Projektpartnern eine automatische Lackierkabine und Roboterzellen zur Vorbehandlung, Qualitätssicherung und Lackierung von Klein- und Großstrukturen. Neben den eigentlichen Vorbehandlungs-, Lackier- und Qualitätssicherungsprozessen erfolgt eine Auswertung und Visualisierung der Prozess- und Messdaten mittels AR/VR und Edge-Computing. Das Zentrum bündelt die Expertise aus den Abteilungen »Lacktechnik«, »Plasmatechnik und Oberflächen« und »Qualitätssicherung und Cyber-Physische Systeme« des Fraunhofer IFAM.

Zukünftig entwickeln und erproben die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IFAM hier neue Prozesse zur Oberflächenbehandlung und -beschichtung. Das Zentrum dient zum einen für anwendungsorientierte und praxisnahe Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Zum anderen können kommerzielle Beschichtungsprozesse nachgestellt und optimiert werden.

 

Adaptierbare, modulare Technologien für die Vorbehandlung und Reinigung

Für die Reinigung und Aktivierung von Bauteiloberflächen zur sicheren Adhäsion können diverse Vorbehandlungsverfahren im Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik adaptiert werden. Bei starken Kontaminationen können abrasive Technologien wie Vakuum-Saugstrahlen, CO2-Schneestrahlen oder Bürstenreinigung eingesetzt werden. Abtragende Laser-Prozesse im IR und UV-Bereich entfernen Trennmittel aber auch lokale Kontaminationen wie Vogelkot vollständig. Für die Feinstreinigung und Funktionalisierung von Oberflächen können außerdem Atmosphärendruck-Plasmen, VUV-Lampen – oder auch moderate Laserprozesse eingesetzt werden. Durch die Anpassungsmöglichkeiten aller Prozesse ist die Durchführung kombinierter Verfahren bedarfsgerecht auch für Reparaturprozesse inklusive lokaler Entschichtung möglich.

 

Lackierprozesse vollständig automatisiert und optimiert

Das Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik umfasst einen Lackierroboter FANUC P-350iA/45 auf einer siebten Linearachse, wobei bei Bedarf auch weitere Roboter auf der Linearachse integriert werden können. Der installierte FANUC P-350iA/45 zeichnet sich durch eine Reichweite von über 2.600 mm und eine für Lackierroboter hohe Traglast von bis zu 45 kg aus und findet insbesondere im Bereich der Luft- und Raumfahrtbranche Verwendung. Um auch höhere Bauteile bearbeiten zu können, wurde das Robotersystem auf einem erhöhten Stahlbau installiert.

Die automatische Lackierkabine kann beheizt, befeuchtet und darüber hinaus zur Trocknung verwendet werden. Ergänzend stehen auch vollklimatisierte Lackierkabinen am Fraunhofer IFAM in Bremen zur Verfügung.

Die Lackversorgung erfolgt über eine 2K-Dosieranlage und versorgt je nach Bedarf ein breites Spektrum an Applikationstechnik von pneumatischen Zerstäubern bis zur Hochrotationszerstäubung. Dank Schnellwechselsystem sind Zerstäuberwechsel in kürzester Zeit möglich. Hierbei können lösemittelhaltige Lacke, Wasserlacke und 2K-Lacke verarbeitet werden.

 

Entwicklung von chemiefreien und umweltfreundlichen Behandlungen

Eine flexible Anpassung der Technologien erlauben weiterhin eine ressourcen- und umweltschonende Oberflächenvorbehandlung und können den Einsatz von Lösemitteln und Reinigungsmedien massiv reduzieren, bis hin zum vollständigen Verzicht darauf. Weiterhin kann die Benetzung und die Adhäsion von umweltfreundlicheren lösemittelreduzierten Lack-Systemen erheblich verbessert werden. Besonders im Bereich des Flugzeugbaus ist eine an das jeweilige Material angepasst Vorbehandlung sowohl für dem OEM als auch für den MRO Bereich von großer Bedeutung.

 

Automatisierte Qualitätssicherung mithilfe von AV/VR und maschinellem Lernen

Zur Absicherung von Prozessen und zur schnellen Ermittlung von Material- und Fertigungsdaten werden zur Qualitätssicherung digitale Lösungen für die mobile und inline-fähige Anwendung entwickelt. Hierbei liegt der Fokus auf der Entwicklung neuer Messmethoden von der Laboranwendung bis zum Einsatz unter Realbedingungen.

Die beispielhafte Qualitätskontrolle von Flugzeuglackaufbauten und die oberflächliche Lackschicht wird mit Hilfe einer inlinefähigen Hyperspektralkamera geprüft. Dabei werden die Daten mit Hilfe von Machine Learning ausgewertet.

Um per Machine Learning Modelle zu trainieren, die in der Lage sind, automatisierte Bewertungen vorzunehmen, werden annotierte Daten zum Training zur Verfügung gestellt. Auf Basis dieser Daten lernen die Algorithmen selbstständig markante Merkmale, an denen sich die aufgetragenen Lacke unterscheiden lassen. Hierbei spielt die Nachvollziehbarkeit der algorithmischen Entscheidung eine große Rolle. Zur Auswahl stehen Random Forests und Neuronale Netze. Erstere sind schon länger eingesetzte Algorithmen, die auch komplexe Daten unterscheiden können. Neuronale Netze hingegen werden erst seit kurzer Zeit eingesetzt, können dafür aber in vielen Fällen die bisherigen Modelle in Genauigkeit und Geschwindigkeit übertreffen, sodass auch anspruchsvolle, robotergeführte Inline-Untersuchungen möglich sind.

 

Visualierung von Messdaten: IoT-Datenstruktur mit variabler Ergebnisvisualisierung

Die digitalisierte, inline Qualitätssicherung von Oberflächen ermöglicht eine unmittelbare Rückkopplung zur Prozessführung durch die schnelle Klassifizierung der aufgenommenen Daten. So lassen sich einerseits dort Prozessschritte einsparen, wo bereits die gewünschte Oberflächengüte erreicht ist, andererseits lassen sich gezielt definierte Bereiche erneut bearbeiten. Mit Hilfe von Bauteillageerkennungen und beispielswiese der Aufprojektion von Ergebnissen auf das Bauteil, ist so eine direkte visuelle Rückmeldung möglich. Ein weiterer Vorteil ist die variable Änderung der Informationstiefe für die Ergebnisanzeige, so dass beispielsweise bestimmte Nutzergruppen (z. B. Facharbeiter, Prozessingenieur) unterschiedliche Detailtiefen der Daten über eine IoT Datenbasis abrufen können.

 

Die Oberflächentechnik ist eine Kernkompetenz des Fraunhofer IFAM. Lukas Menzel treibt die Automatisierung und Digitalisierung von Beschichtungskonzepten für Großbauteile, beispielsweise aus der Luftfahrt oder dem Automobilbau, voran. Hierbei profitiert das Fraunhofer IFAM von den Kompetenzen der Abteilungen »Lacktechnik«, »Plasmatechnik und Oberflächen« und »Qualitätssicherung und Cyber-Physische Systeme«.

Beispielsweise in dem vom BMWi geförderten Projekt Bellissima (FKZ: 20Q1912F). Mit Projektpartnern arbeiten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IFAM an innovativen Prozessen zur automatisierten ortsselektiven Oberflächenbehandlung und der kantenscharfen Lackierung.